Jackson Lamb furzt ungeniert in der Öffentlichkeit, ist übergewichtig, sarkastisch und vollkommen unberechenbar. »Kannst du dich an Sam Chapman erinnern?« fragt Nick Duffy, Chef der »Dogs« des britischen Secret Service und fährt fort: »Bad Sam hat mal gesagt, er würde niemanden fürchten außer übergewichtigen Typen mit Mundgeruch und schlechtsitzenden Hemden. Wissen Sie, warum? Weil alle Jubeljahre einer davon mal Jackson Lamb sein könnte.« Lamb ist außerdem Ex-MI5 Agent und – offensichtlich – eine lebende Legende. Sein Autor, der Brite Mick Herron, hat für seine Spionage Thriller- Serie um Jackson Lamb bereits diverse Preise und Auszeichnungen erhalten. Für das deutschsprachige Publikum erscheint die Reihe nun nach und nach im Diogenes Verlag. Slow Horses macht den Anfang, in einer Übersetzung von Stefanie Schäfer.
Slow Horses & Slough House
Wer in Slough House landet, hat es beim MI5 verbockt. In dem unscheinbaren Gebäude im Herzen Londons arbeiten River Cartwright, Roderick Ho, Jed Moody, Catherine Standish, Min Harper, Louisa Guy, Struan Loy und Sidonie Baker und transkribieren abgehörte Telefonate. Herrscher über dieses Königreich der Abservierten ist Jackson Lamb. Lamb thront in seinem Büro, im obersten Stockwerk des Gebäudes, lässt sich Tee servieren und döst in seinem ächzenden Bürostuhl. Zwischen den Kollegen herrscht Eiszeit. Als ein pakistanischer Jugendlicher entführt wird, dessen Entführer drohen den Jungen vor laufender Kamera zu enthaupten, bricht die Monotonie der »Slow Horses« und im sonst trägen Slough House wird es hektisch. Der lang ersehnte »richtige Fall« erweist sich als erstklassige Teambildungsmaßnahme.
Jackson Lamb erscheint wie die bad-assVariante von Joanne K. Rowlings Privatdetektiv Cormoran Strike. Zu seiner ungepflegten Erscheinung und seiner Rüpelhaftigkeit kommt seine scharfe Zunge, die er auch Autoritäten gegenüber nicht ihm Zaum hält: »Ihr Glaube wäre ja rührend, wenn mich Ihre Blödheit nicht zum Kotzen brächte.« In seine Gedanken- und Gefühlswelt lässt Herron den Leser jedoch nicht blicken. Lamb ist der Archetypus des wahrhaft abstoßenden Antihelden, aber Herron schafft es durch ausgeklügelte Leserlenkung Sympathien für ihn zu erwecken. Man kommt nicht umhin sich zu fragen: Wer ist dieser Jackson Lamb wirklich? Was hat er zu verbergen?
Anders bei River Cartwright, einem Ex-Agenten aus dem Team der Abservierten. Cartwrights Karriere endete bevor sie überhaupt begonnen hatte. Groß, schlank, voller Elan, voller Leidenschaft für den Beruf des Agenten, ist er das Gegenteil von Lamb. Bereits Cartwrights Großvater (OB, für Old Bastard) war ein Agent beim MI5: »Zum zwölften Geburtstag hat er mir dann le Carrés gesammelte Werke geschenkt. Ich weiß noch, was er damals darüber gesagt hat. Erfundene Geschichten. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht wahr sind.« Das erste Kapitel von Slow Horsesdreht sich allein um Cartwright und gehört zu den spannendsten ersten Kapiteln, die ich je gelesen habe. Gleichzeitig liefert es die Antwort auf die Frage, wie Cartwright »von der Überholspur« abkam und zu den Slow Horses geriet. Nervenkitzel pur.
Messing with the reader
Mick Herron hat Slow Horses geschickt konstruiert. Der Spannungsbogen bleibt konstant, die Handlung wird kontinuierlich vorangetrieben. Die einzelnen Kapitel unterteilen sich in einzelne Abschnitte, in denen der Erzähler seinen Blick gewissermaßen von einer Figur zu einer anderen Figur springen lässt. So fügt sich eine einzelne Szene, wie bei einem Puzzle, erst nach und nach zu einem kompletten Bild. Herron, der in Oxford English Literature studiert hat, schreibt eindrucksvolle, starke Bilder: »River erreichte den Bahnsteig in dem Moment, als ein Zug wie ein großes, langsames Tier herbeikroch, nur Augen für ihn. Und es hatte viele Augen. River spürte alle von ihnen, all diese Augenpaare, die im Bauch des Monsters gefangen und auf ihn gerichtet waren, als er den Bahnsteig entlang starrte, zu einer Person, die gerade aus einem Notausgang am anderen Ende aufgetaucht war.« Die Szenen zuvor waren rasant, von Hektik geprägt. Kurze, schnelle Sätze. Darauf lässt Herron diesen Absatz folgen, ein Komma, nach dem anderen. Wie die Waggons der einfahrenden U-Bahn, die sich langsam in die Station King’s Cross schiebt, schiebt sich der lange Satz in das Blickfeld des Lesers, bremst den schnellen Lesefluss aus. Dramatik und Spannung hingegen schnellen in die Höhe. In einem Interview mit Ian Fleming Publications sagte Mick Herron: »It’s the mainstay of the Thriller, really: messing with the reader. And speaking as a reader myself, I enjoy it when an Author does that to me.« Slow Horsesist gespickt mit falsche Finten. Vorzugsweise dienen sie als kleine Cliffhanger am Ende einer Puzzlestück-Szene. Wer Thriller liest um Ah-, Oh-, Oh nein- oder Du liebe Güte-Moment zu erleben, dem sei Mick Herrons Spy Thriller wärmstens ans Herz gelegt.
Jackson Lamb furzt ungeniert in der Öffentlichkeit, ist übergewichtig, sarkastisch und vollkommen unberechenbar. »Kannst du dich an Sam Chapman erinnern?« fragt Nick Duffy, Chef der »Dogs« des britischen Secret Service und fährt fort: »Bad Sam hat mal gesagt, er würde niemanden fürchten außer übergewichtigen Typen mit Mundgeruch und schlechtsitzenden Hemden. Wissen Sie, warum? Weil alle Jubeljahre einer davon mal Jackson Lamb sein könnte.« Lamb ist außerdem Ex-MI5 Agent und – offensichtlich – eine lebende Legende. Sein Autor, der Brite Mick Herron, hat für seine Spionage Thriller- Serie um Jackson Lamb bereits diverse Preise und Auszeichnungen erhalten. Für das deutschsprachige Publikum erscheint die Reihe nun nach und nach im Diogenes Verlag. Slow Horses macht den Anfang, in einer Übersetzung von Stefanie Schäfer.
Slow Horses & Slough House
Wer in Slough House landet, hat es beim MI5 verbockt. In dem unscheinbaren Gebäude im Herzen Londons arbeiten River Cartwright, Roderick Ho, Jed Moody, Catherine Standish, Min Harper, Louisa Guy, Struan Loy und Sidonie Baker und transkribieren abgehörte Telefonate. Herrscher über dieses Königreich der Abservierten ist Jackson Lamb. Lamb thront in seinem Büro, im obersten Stockwerk des Gebäudes, lässt sich Tee servieren und döst in seinem ächzenden Bürostuhl. Zwischen den Kollegen herrscht Eiszeit. Als ein pakistanischer Jugendlicher entführt wird, dessen Entführer drohen den Jungen vor laufender Kamera zu enthaupten, bricht die Monotonie der »Slow Horses« und im sonst trägen Slough House wird es hektisch. Der lang ersehnte »richtige Fall« erweist sich als erstklassige Teambildungsmaßnahme.
Jackson Lamb erscheint wie die bad-assVariante von Joanne K. Rowlings Privatdetektiv Cormoran Strike. Zu seiner ungepflegten Erscheinung und seiner Rüpelhaftigkeit kommt seine scharfe Zunge, die er auch Autoritäten gegenüber nicht ihm Zaum hält: »Ihr Glaube wäre ja rührend, wenn mich Ihre Blödheit nicht zum Kotzen brächte.« In seine Gedanken- und Gefühlswelt lässt Herron den Leser jedoch nicht blicken. Lamb ist der Archetypus des wahrhaft abstoßenden Antihelden, aber Herron schafft es durch ausgeklügelte Leserlenkung Sympathien für ihn zu erwecken. Man kommt nicht umhin sich zu fragen: Wer ist dieser Jackson Lamb wirklich? Was hat er zu verbergen?
Anders bei River Cartwright, einem Ex-Agenten aus dem Team der Abservierten. Cartwrights Karriere endete bevor sie überhaupt begonnen hatte. Groß, schlank, voller Elan, voller Leidenschaft für den Beruf des Agenten, ist er das Gegenteil von Lamb. Bereits Cartwrights Großvater (OB, für Old Bastard) war ein Agent beim MI5: »Zum zwölften Geburtstag hat er mir dann le Carrés gesammelte Werke geschenkt. Ich weiß noch, was er damals darüber gesagt hat. Erfundene Geschichten. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht wahr sind.« Das erste Kapitel von Slow Horsesdreht sich allein um Cartwright und gehört zu den spannendsten ersten Kapiteln, die ich je gelesen habe. Gleichzeitig liefert es die Antwort auf die Frage, wie Cartwright »von der Überholspur« abkam und zu den Slow Horses geriet. Nervenkitzel pur.
Messing with the reader
Mick Herron hat Slow Horses geschickt konstruiert. Der Spannungsbogen bleibt konstant, die Handlung wird kontinuierlich vorangetrieben. Die einzelnen Kapitel unterteilen sich in einzelne Abschnitte, in denen der Erzähler seinen Blick gewissermaßen von einer Figur zu einer anderen Figur springen lässt. So fügt sich eine einzelne Szene, wie bei einem Puzzle, erst nach und nach zu einem kompletten Bild. Herron, der in Oxford English Literature studiert hat, schreibt eindrucksvolle, starke Bilder: »River erreichte den Bahnsteig in dem Moment, als ein Zug wie ein großes, langsames Tier herbeikroch, nur Augen für ihn. Und es hatte viele Augen. River spürte alle von ihnen, all diese Augenpaare, die im Bauch des Monsters gefangen und auf ihn gerichtet waren, als er den Bahnsteig entlang starrte, zu einer Person, die gerade aus einem Notausgang am anderen Ende aufgetaucht war.« Die Szenen zuvor waren rasant, von Hektik geprägt. Kurze, schnelle Sätze. Darauf lässt Herron diesen Absatz folgen, ein Komma, nach dem anderen. Wie die Waggons der einfahrenden U-Bahn, die sich langsam in die Station King’s Cross schiebt, schiebt sich der lange Satz in das Blickfeld des Lesers, bremst den schnellen Lesefluss aus. Dramatik und Spannung hingegen schnellen in die Höhe. In einem Interview mit Ian Fleming Publications sagte Mick Herron: »It’s the mainstay of the Thriller, really: messing with the reader. And speaking as a reader myself, I enjoy it when an Author does that to me.« Slow Horsesist gespickt mit falsche Finten. Vorzugsweise dienen sie als kleine Cliffhanger am Ende einer Puzzlestück-Szene. Wer Thriller liest um Ah-, Oh-, Oh nein- oder Du liebe Güte-Moment zu erleben, dem sei Mick Herrons Spy Thriller wärmstens ans Herz gelegt.
Slow Horsesvon Mick Herron
Diogenes Verlag. 480 Seiten. 24 Euro.
Gebunden mit Schutzumschlag.