Ob Adèle, Das Ende von Eddy und Tage es Verlassenwerdens eine solche Wirkung bei den Lesenden entfalten/hervorruefen, kann nicht mit Gewissheit gesagt werden, doch sicher ist, dass alle drei Erzählungen hinab führen in dunkle Abgründe der menschlichen Existenz und diese schonungslos ausleuchten.
Tage des Verlassenwerdens von Elena Ferrante (Suhrkamp)*
Bereits der erste Absatz von Elena Ferrantes Tage des Verlassenwerdens ist an Intensität kaum zu überbieten. Olga, ihres Zeichens Schriftstellerin, berichtet: „An einem Nachmittag im April verkündete mir mein Mann kurz nach dem Mittagessen, dass er mich verlassen wolle.“ Mitten hinein in die heimelige Atmosphäre eines Nachmittags platzt die Bombe. „Verkündet“, schreibt die Erzählerin, das meint: Gegenrede unerwünscht. „Dann übernahm er die volle Verantwortung für alles, zog behutsam die Wohnungstür hinter sich zu und ließ mich versteinert neben der Spüle zurück.“ Olga ist nicht nur überrascht von den Worten ihres Mannes, sie ist „versteinert“, derart vor vollendete Tatsachen gestellt, bleibt sie – 38 Jahre alt und Mutter zweier Kinder – neben der Spüle zurück, in der Küche, dem Mittelpunkt eines jeden Haushalts, inmitten aller Verpflichtungen.
Täglich werden Scheidungen vor Gericht vollzogen. Trennungen geschehen jeden Tag. Die meisten Menschen gehen, nach einer Phase des Schmerzes, gesund (und munter) aus ihnen hervor. Andere zerbrechen daran. Das Motiv der liebenden Frau, die, nachdem ihr Liebhaber sie verlassen hat, ihre psychische Gesundheit einbüßt, taucht bereits in Elena Ferrantes Neapolitanischen Saga auf. Olga wird zur Grenzgängerin zwischen Klarheit und Wahnsinn. Ferrante gelingt es, die ersten zähen Stunden und Tage, die auf den Schock folgen, so literarisch brillant wie intensiv darzustellen. „Ferrante turns ordinär domestic misery into an expressionistic hell“, schreibt James Wood in einer Rezension des Romans im New Yorker.
In Italien erschien Tage des Verlassenwerdens bereits im Jahr 2002, nun endlich liegt der Roman, von Anja Natteford übersetzt, in deutscher Sprache im Suhrkamp Verlag vor.
*Vielen Dank an den Suhrkamp Verlag für das Rezensionsexemplar
Das Ende von Eddy – Édouard Louis (Fischer Verlag)
Édouard Louis kann schreiben. Seine Bücher erinnern an das, was Literatur leisten kann: Aufmerksam machen. In diesem Fall: Salz in die Wunde streuen. Das Ende von Eddy ist ein wichtiges Buch, denn es schmerzt.
Mit großer Schonungslosigkeit berichtet Édouard Louis in Das Ende von Eddy von seiner Kindheit als Eddy Bellegueule in der nordfranzösischen Provinz und seiner Verwandlung zu dem, der er heute ist: dem Pariser Schriftsteller Édouard Louis. Louis ist studierter Soziologe (Didier Eribon und Geoffroy de Lagasnerie sind enge Freunde) und thematisiert in seinem Erstling die Erfahrungen eines homosexuellen Jungen mit Diskriminierung, Mobbing und Gewalt in einem abgeschiedenen Dorf, das überall auf der Welt liegen könnte. Mit professioneller Distanz zeigt Louis soziale Mechanismen auf, doch die innere Zerrissenheit eines solchen Kindes, schildert nicht der Wissenschaftler, sondern der Mensch. „I don’t mean to say that I never, in all of those years, felt any happiness or joy. But suffering is all-consuming: it somehow gets rid of anything that doesn’t fit into its system.“, heißt es früh im Roman. Direkt und mitunter hart beschreibt Louis wie Eddy von Mitschülern drangsaliert wird. Nicht hineinpasst, nicht in die Dorfgemeinschaft, nicht in die Schule, nicht einmal in sein Elternhaus.
Im Herzen der Gewalt von Louis ist ein großartiger – in Deutschland zuerst erschienen – Roman. Das Ende von Eddy gewissermaßen sein Prolog.
Adèle von Leïla Slimani (Faber & Faber)
Adèle hat alles, was das Herz begehrt. Sie ist eine talentierte, erfolgreiche Journalistin, verheiratet mit einem ebenso erfolgreichen Chirurgen. Gemeinsam leben sie in einem wohlhabenden Viertel in Paris, haben einen kleinen Sohn. Urlaube, Wochenenden am Meer. Am Ende von Slimanis eindringlichem Roman steht Adèle am Abgrund, der sie sprichwörtlich zu verschlingen droht. All das zu verlieren heißt dann auch die deutsche Ausgabe des Romans.
Adèle, der zweite Roman der marokkanisch-französischen Schriftstellerin Leïla Slimani, thematisiert erneut Desillusionierung, Obsession und Untergang. Slimani führt vor, wie die Nymphomanie ihrer Protagonistin nicht nur deren Leben, sondern auch das der Menschen in ihrem Umfeld zu zerstören droht.
Ob Adèle, Das Ende von Eddy und Tage es Verlassenwerdens eine solche Wirkung bei den Lesenden entfalten/hervorruefen, kann nicht mit Gewissheit gesagt werden, doch sicher ist, dass alle drei Erzählungen hinab führen in dunkle Abgründe der menschlichen Existenz und diese schonungslos ausleuchten.
Tage des Verlassenwerdens von Elena Ferrante (Suhrkamp)*
Bereits der erste Absatz von Elena Ferrantes Tage des Verlassenwerdens ist an Intensität kaum zu überbieten. Olga, ihres Zeichens Schriftstellerin, berichtet: „An einem Nachmittag im April verkündete mir mein Mann kurz nach dem Mittagessen, dass er mich verlassen wolle.“ Mitten hinein in die heimelige Atmosphäre eines Nachmittags platzt die Bombe. „Verkündet“, schreibt die Erzählerin, das meint: Gegenrede unerwünscht. „Dann übernahm er die volle Verantwortung für alles, zog behutsam die Wohnungstür hinter sich zu und ließ mich versteinert neben der Spüle zurück.“ Olga ist nicht nur überrascht von den Worten ihres Mannes, sie ist „versteinert“, derart vor vollendete Tatsachen gestellt, bleibt sie – 38 Jahre alt und Mutter zweier Kinder – neben der Spüle zurück, in der Küche, dem Mittelpunkt eines jeden Haushalts, inmitten aller Verpflichtungen.
Täglich werden Scheidungen vor Gericht vollzogen. Trennungen geschehen jeden Tag. Die meisten Menschen gehen, nach einer Phase des Schmerzes, gesund (und munter) aus ihnen hervor. Andere zerbrechen daran. Das Motiv der liebenden Frau, die, nachdem ihr Liebhaber sie verlassen hat, ihre psychische Gesundheit einbüßt, taucht bereits in Elena Ferrantes Neapolitanischen Saga auf. Olga wird zur Grenzgängerin zwischen Klarheit und Wahnsinn. Ferrante gelingt es, die ersten zähen Stunden und Tage, die auf den Schock folgen, so literarisch brillant wie intensiv darzustellen. „Ferrante turns ordinär domestic misery into an expressionistic hell“, schreibt James Wood in einer Rezension des Romans im New Yorker.
In Italien erschien Tage des Verlassenwerdens bereits im Jahr 2002, nun endlich liegt der Roman, von Anja Natteford übersetzt, in deutscher Sprache im Suhrkamp Verlag vor.
*Vielen Dank an den Suhrkamp Verlag für das Rezensionsexemplar
Das Ende von Eddy – Édouard Louis (Fischer Verlag)
Édouard Louis kann schreiben. Seine Bücher erinnern an das, was Literatur leisten kann: Aufmerksam machen. In diesem Fall: Salz in die Wunde streuen. Das Ende von Eddy ist ein wichtiges Buch, denn es schmerzt.
Mit großer Schonungslosigkeit berichtet Édouard Louis in Das Ende von Eddy von seiner Kindheit als Eddy Bellegueule in der nordfranzösischen Provinz und seiner Verwandlung zu dem, der er heute ist: dem Pariser Schriftsteller Édouard Louis. Louis ist studierter Soziologe (Didier Eribon und Geoffroy de Lagasnerie sind enge Freunde) und thematisiert in seinem Erstling die Erfahrungen eines homosexuellen Jungen mit Diskriminierung, Mobbing und Gewalt in einem abgeschiedenen Dorf, das überall auf der Welt liegen könnte. Mit professioneller Distanz zeigt Louis soziale Mechanismen auf, doch die innere Zerrissenheit eines solchen Kindes, schildert nicht der Wissenschaftler, sondern der Mensch. „I don’t mean to say that I never, in all of those years, felt any happiness or joy. But suffering is all-consuming: it somehow gets rid of anything that doesn’t fit into its system.“, heißt es früh im Roman. Direkt und mitunter hart beschreibt Louis wie Eddy von Mitschülern drangsaliert wird. Nicht hineinpasst, nicht in die Dorfgemeinschaft, nicht in die Schule, nicht einmal in sein Elternhaus.
Im Herzen der Gewalt von Louis ist ein großartiger – in Deutschland zuerst erschienen – Roman. Das Ende von Eddy gewissermaßen sein Prolog.
Adèle von Leïla Slimani (Faber & Faber)
Adèle hat alles, was das Herz begehrt. Sie ist eine talentierte, erfolgreiche Journalistin, verheiratet mit einem ebenso erfolgreichen Chirurgen. Gemeinsam leben sie in einem wohlhabenden Viertel in Paris, haben einen kleinen Sohn. Urlaube, Wochenenden am Meer. Am Ende von Slimanis eindringlichem Roman steht Adèle am Abgrund, der sie sprichwörtlich zu verschlingen droht. All das zu verlieren heißt dann auch die deutsche Ausgabe des Romans.
Adèle, der zweite Roman der marokkanisch-französischen Schriftstellerin Leïla Slimani, thematisiert erneut Desillusionierung, Obsession und Untergang. Slimani führt vor, wie die Nymphomanie ihrer Protagonistin nicht nur deren Leben, sondern auch das der Menschen in ihrem Umfeld zu zerstören droht.