„Kriegslicht“ von Michael Ondaatje gehört zu den besten Büchern, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Vielleicht sogar zu den besten Büchern, die ich je gelesen habe. Über die Story – auch wenn sie grandios ist – möchte ich nicht zu viel verraten, denn diesen Roman muss man selbst entdecken.
„Im Jahr 1945 gingen unsere Eltern fort und ließen uns in der Obhut zweier Männer zurück, die möglicherweise Kriminelle waren.“, lautet der erste Satz von „Kriegslicht“. Fortan herrscht in geschäftiges Treiben im Elternhaus der Geschwister Nathaniel und Rachel. Dubiose Gestalten Kommen und Gehen. Einzig „der Falter“, der in die Rolle eines Ersatzelternteils schlüpft und „der Boxer“, stellen eine Art Konstante im Leben der Geschwister dar.
Jahre später, Nathaniel und seine Schwester Rachel sind bereits ein erwachsen, blickt Nathaniel zurück, versucht die Geschichte seines Lebens (und die seiner Familie) auszuleuchten und mit Sinn zu füllen. Die Rückschau nähert sich immer mehr der Gegenwart an und am Ende von „Kriegslicht“, liegt sie (beinahe) offen dar.
„Kriegslicht“ ist sprachlich meisterhaft erzählt. Ruhig und poetisch. Die Übersetzung von Anna Leube ist fabelhaft. Die Beschreibungen der nächtlichen Bootsfahrten über die Themse, die Nathaniel in Begleitung des Boxers unternimmt, gehören zu den beeindruckendsten und schönsten Szenen, die ich je gelesen habe und die lange nachhallen. Ich habe mich an Dickens „Great Expectations“ und Pips Streifzüge durch das Marschland erinnert gefühlt. In völligem Kontrast zu der literarischen Schönheit steht die der Erzählung innewohnende dunkle Seite und die unterschwellig brodelnde Spannung. Doch selbst als diese Spannung sich entlädt, es Opfer gibt, bleibt der Roman poetisch und gleitet nichts in Banale ab.
Der Titel des Romans deutet es bereits an: Die Lichtmetaphorik in „Kriegslicht“ ist ausgefeilt und absolut grandios. Vieles liegt im Dunkeln, vielen bleibt im Dunkeln. Wie eine Figur aus einem Roman Kafkas ist Nathaniel auf der Suche nach Lichtpunkten, nach hellen Stellen, die ihm helfen, das Rätsel um seine Eltern und ihr Verschwinden und die Verstrickungen des Falters und des Boxers zu verstehen, doch er stößt auf Widerstände, auf Schweigen. Vieles, so wird am Ende des Roman klar, ist nur eine mögliche Version dessen, was geschehen ist.
Vielen Dank an den Hanser Verlag für das Rezensionsexemplar,
ich werde „Kriegslicht“ ganz sicher ein zweites Mal lesen.
Kriegslicht von Michael Ondaatje
Gebunden mit Schutzumschlag.
320 Seiten. 24 Euro.
Diese Website benutzt Cookies. Wenn du die Website weiter nutzt, gehen wir von deinem Einverständnis aus.OKNeinDatenschutzerklärung
„Kriegslicht“ von Michael Ondaatje gehört zu den besten Büchern, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Vielleicht sogar zu den besten Büchern, die ich je gelesen habe. Über die Story – auch wenn sie grandios ist – möchte ich nicht zu viel verraten, denn diesen Roman muss man selbst entdecken.
„Im Jahr 1945 gingen unsere Eltern fort und ließen uns in der Obhut zweier Männer zurück, die möglicherweise Kriminelle waren.“, lautet der erste Satz von „Kriegslicht“. Fortan herrscht in geschäftiges Treiben im Elternhaus der Geschwister Nathaniel und Rachel. Dubiose Gestalten Kommen und Gehen. Einzig „der Falter“, der in die Rolle eines Ersatzelternteils schlüpft und „der Boxer“, stellen eine Art Konstante im Leben der Geschwister dar.
Jahre später, Nathaniel und seine Schwester Rachel sind bereits ein erwachsen, blickt Nathaniel zurück, versucht die Geschichte seines Lebens (und die seiner Familie) auszuleuchten und mit Sinn zu füllen. Die Rückschau nähert sich immer mehr der Gegenwart an und am Ende von „Kriegslicht“, liegt sie (beinahe) offen dar.
„Kriegslicht“ ist sprachlich meisterhaft erzählt. Ruhig und poetisch. Die Übersetzung von Anna Leube ist fabelhaft. Die Beschreibungen der nächtlichen Bootsfahrten über die Themse, die Nathaniel in Begleitung des Boxers unternimmt, gehören zu den beeindruckendsten und schönsten Szenen, die ich je gelesen habe und die lange nachhallen. Ich habe mich an Dickens „Great Expectations“ und Pips Streifzüge durch das Marschland erinnert gefühlt. In völligem Kontrast zu der literarischen Schönheit steht die der Erzählung innewohnende dunkle Seite und die unterschwellig brodelnde Spannung. Doch selbst als diese Spannung sich entlädt, es Opfer gibt, bleibt der Roman poetisch und gleitet nichts in Banale ab.
Der Titel des Romans deutet es bereits an: Die Lichtmetaphorik in „Kriegslicht“ ist ausgefeilt und absolut grandios. Vieles liegt im Dunkeln, vielen bleibt im Dunkeln. Wie eine Figur aus einem Roman Kafkas ist Nathaniel auf der Suche nach Lichtpunkten, nach hellen Stellen, die ihm helfen, das Rätsel um seine Eltern und ihr Verschwinden und die Verstrickungen des Falters und des Boxers zu verstehen, doch er stößt auf Widerstände, auf Schweigen. Vieles, so wird am Ende des Roman klar, ist nur eine mögliche Version dessen, was geschehen ist.
Kriegslicht von Michael Ondaatje
Gebunden mit Schutzumschlag.
320 Seiten. 24 Euro.