Die Ermordung des Commendatore I von Haruki Murakami

Was für ein großes Geschenk es ist, sich in den (unendlichen Weiten) des Internets, mit Literatur beschäftigen zu dürfen. Vergangene Woche verdeutlichte mir das ein großer brauner Umschlag, der in meinem Briefkasten steckte. Der Absender war der DuMont Buchverlag und darin der erste Band des neuen Romans von Haruki Murakami: Die Ermordung des Commendatore I – Eine Idee erscheint. Mit einer Woche Vorsprung begann für mich das allseits langersehnte #MurakamiLesen.

Mein liebstes Buch von Haruki Murakami ist Wilde Schafsjagd, dicht gefolgt von Der Tanz mit dem Schafsmann. Ich steckte mitten im Studium als ich den japanischen Schriftsteller für mich entdeckte. Was ich liebte, war das Surreale in seinen Büchern, die bizarren Rätsel und vor allem Murakamis lakonischen Erzählstil. Ein Schaf, das nach der Weltherrschaft strebt? Wer hätte gedacht, dass ich an einer so einer verrückten Geschichte Gefallen finden könnte? Im Seminar las ich also Kleist und Fontane und in jeder freien Minute Haruki Murakami. Der große braune Umschlag aus dem DuMont Buchverlag war der Beginn eines neuen großartigen Murakami-Leseabenteuers.

»Wahrscheinlich landen wir alle auf dem Mond«

Die folgende Zusammenfassung des Romans wird der absolut abwegigen und gerade deshalb grandiosen Geschichte, die Murakami sich erdacht hat, nicht im Geringsten gerecht: Ein junger erfolgreicher Maler, der sein Geld bislang mit der Anfertigung von Porträts verdiente, reist nach dem unverhofften Scheitern seiner Ehe in seinem altersschwachen Peugeot 205 ziellos durch Japan. Er beschließt fortan keine Porträts mehr malen. Als sich ihm die Gelegenheit bietet in das abgelegene Haus eines berühmten Künstlers, mit dessen Sohn er befreundet ist, zu ziehen, zögert er nicht lange. Dort erreicht ihn ein unverhofftes Angebot: Der wohlhabende Geschäftsmann Wataru Menshiki bietet ihm sehr, sehr viel Geld für das Malen seines Portraits. Der Maler willigt schließlich ein, doch er findet nicht zu seiner alten Meisterschaft im Porträtieren zurück. Noch dazu geschehen um ihn herum zunehmend mysteriöse Dinge: Auf dem Dachboden des Hauses entdeckt er ein virtuoses Gemälde, das ihm nicht mehr aus dem Sinn geht. Dann erklingt des Nachts plötzlich das Läuten von Glöckchen im Garten …

Der Plot: So abwegig, so genial!

Haruki Murakami muss man selbst lesen. Keine Inhaltsangabe kann dem Roman, seiner Detailgenauigkeit und vor allem seinem Stil gerecht werden. Mir würdet ihr die phantastischen Vorkommnisse sowieso nicht glauben. Murakami – den ich immer freundschaftlich beim Vornamen Haruki nennen möchte – hingegen schon. In Die Ermordung des Commendatore lebt der alte Murakami, der, den ich so im Studium so sehr liebte und dessen Texte auf mich fast hypnotisch wirkten, wieder auf. Während ich bei jedem anderen Schriftsteller denken würde: „Welch für ein Blödsinn!“ um unversehens das Buch beiseite zu legen, zieht Murakami mich mit seiner nüchternen, klaren Erzählweise in seinen Bann. Ich glaube ihm alles. Auch die Sache mit der Idee, die sich in den verschiedensten Formen materialisieren kann. Etwa als kleine, 60 Zentimeter große, japanische Version des Commendatore aus Mozarts Oper Don Giovanni. Ihr schüttelt vielleicht den Kopf, aber vergewissert euch bei Murakami höchstselbst: Das geht.

»Es gibt sie alle wirklich«

In Die Ermordung des Commendatore kehrt Haruki Murakami zurück zum namenlosen Ich-Erähler und die Geschichte nimmt zunächst nur langsam Fahrt auf. Mitunter so gemächlich, dass ich begann unruhig zu werden. In der Retrospektive und im Hinblick auf den zweiten Band des Romans (zusammen werden beide Bände annähernd 1000 Seiten umfassen) gefällt es mir, dass Murakami sich Zeit nimmt um die Figur seines Ich-Erzähler aufzubauen und nicht mit der Tür ins Haus fällt. Sein Ich-Erzähler ist ein netter Kerl. Ein eher ruhiger Typ, dem jede Art von Hysterie fremd zu sein scheint. Widerführe mir, was ihm passiert, ich nähme meine Beine in die Hand! Seine Ausführungen über kleine und große Brüste und die expliziten Details aus seinem Sexleben haben mich jedoch irritiert, aber Liebesbeziehungen und/oder Affären waren schon immer ein großes Thema bei Haruki Murakami.

Menshiki bedeutet „Farbe vermeiden“

Mit dem undurchschaubaren Wataru Menshiki, dem ominösen Läuten der Glöckchen bei Nacht, der mysteriösen und fragmentarischen Lebens- und Schaffensgeschichte des eigentlichen Hausherren und dem versteckten Meisterwerk auf dem Dachboden spinnt Murakami viele Fäden zu einer meisterhaften Erzählung zusammen. Das Unerklärliche und Phantastische nimmt dabei immer mehr Raum ein, wird aber unversehens zur Romanrealität. Schauervoll wird es übrigens auch. Die gruseligste Stelle des ersten Bandes „erwischte“ mich ausgerechnet spät am Abend, kurz bevor mir ohnehin die Augen zu fielen und ich die weitere Lektüre vertagen musste. Ich gebe es zu: Ich musste mich selbst ermahnen und mir sagen, dass ich bereits sehr erwachsen sei und mich nicht zu fürchten bräuchte das Licht auszuknipsen. Die Ermordung des Commendatore ist reich an Symbolik, an sprechenden Namen, an mysteriösen Vorzeichen. Wohin Murakami die Geschichte führen wird, ist – zumindest mir – am Ende des ersten Bandes noch nicht klar. Aber ich bin gespannt wie ein Flitzebogen.

»Franz Kafka liebte Abhänge«

Murakami spielt, wie schon in seinen Werken zuvor, gekonnt mit allerlei Referenzen und Motiven aus den verschiedensten Werken, der verschiedensten Genres. Mir kam als erstes Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray in den Sinn, aber auch an die unzähligen Geschichten, die über Pakte mit dem Teufel geschrieben wurden. Murakami verwebt eine schauerliche Erzählung des – mir bis dato unbekannten – japanischen Schriftstellers Ueda Akinari (1734-1809) in seine Geschichte ein. Kunstgeschichte, klassische Musik und Oper finden Raum in Murakamis Roman. Auch Geschichte: Um die Geschehnisse aus Die Ermordung des Commendatore in ihrer Gesamtheit verstehen zu können, das zeichnet sich früh ab, wird der Bogen über verschiedene Figuren bis hinein in die 1930er Jahre gespannt, mitten hinein die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich. Der erste Band endet mit Wucht und das letzte Kapitel schlägt ein äußerst bitteres Thema der Geschichte an. Mit jedem Tag, der vergeht seit ich den Roman zugeklappt habe, werde ich neugieriger auf den zweiten Band. Es ist schon eine Crux mit Fortsetzungen und Cliffhangern!

Das große Warten auf Band II

Die Ermordung des Commendatore II – Eine Metapher wandelt sich wird am 16. April in diesem Jahr erscheinen. Bis dahin heißt es geduldig sein und »die Zeit auf seine Seite bringen«, wie Murakamis Erzähler so schön sagt. Zwei Tipps, damit das Warten nicht so lang wird, habe ich für euch. Hier kommt der erste: Jacqueline Masuck hat ein sehr interessantes Interview mit der Übersetzerin des Romans Ursula Gräfe und der Vertriebsleiterin des DuMont Buchverlags über Murakamis neues Buch geführt, das ihr auf ihrem Blog masuko13 lesen könnt. Und der zweite Tipp: Für Sonntag, den 28. Februar hat der DuMont Verlag eine Gemeinschaftsaktion anlässlich des neuen Romans ins Leben gerufen. Unter dem Hashtag #MurakamiLesen soll den ganzen Tag über gemeinsam gelesen und diskutiert werden. Die Aktion startet um 10 Uhr auf Twitter. Einfach dem Dumont Verlag folgen (@dumontverlag) und dem Hashtag #MurakamiLesen und schon kann es losgehen.
DIE ERMORDUNG DES COMMENDATORE I – EINE IDEE ERSCHEINT
von HARUKI MURAKAMI
DuMont Verlag. 480 Seiten. 26 Euro.
Gebunden mit Schutzumschlag.
Die erste Auflage hat einen blauen Farbschnitt.
Vielen Dank an den DuMont Verlag für das Rezensionsexemplar!