Olga von Bernhard Schlink

Lang ersehnt, steht er nun endlich in den Regalen: Der neue Roman von Bernhard Schlink. In Olga erzählt Bernhard Schlink die Geschichte einer starken Frau und einer großen Liebe. Schlinks Hauptfigur Olga ist klug und äußerst wissbegierig. Anders als andere junge Frauen, hat sie nicht nur Mode und Männer im Kopf. Statt von Kleidern, träumt sie von Bildung. Und von Reisen nach Paris und London, »Städte, über die sie in Meyers Konversationslexikon gelesen hatte« (S.29). Das Schicksal jedoch meint es nicht allzu gut mit ihr.

Olgas Leben ist was man salopp bewegt nennt. Schlinks Roman erzählt auf raffinierte Art von den Höhen und Tiefen in ihrem Leben. Zunächst ruhig und empathisch, dann jedoch mit voller emotionaler Wucht. Olga – und ihr Schicksal -, kann man nur schwerlich wieder vergessen.

Der erste Teil: Olga & Herbert

Im Mittelpunkt des ersten Teils von »Olga« steht die Liebesbeziehung zwischen Olga und Herbert. Olga ist Waise, Herbert der Sohn eines wohlhabenden Gutsherren. Olga strebt nach Bildung, sie will Lehrerin werden. Herbert seinerseits hat andere Pläne, lernen interessiert ihn kaum. Er träumt davon Abenteuer zu erleben. Schon als Kind kam er nicht schnell genug von Stelle, wollte das Laufen lernen überspringen und gleich rennen. Die beiden treffen sich heimlich. Herbert fragt sie dann: »Was weißt du, was du heute Morgen noch nicht wusstest?«
Der Widerstand, dem diese Beziehung begegnen wird, ist Olga von Beginn an klar: »Du wirst mich nie heiraten, nicht jetzt, wo du zum Heiraten zu jung bist, und später nicht, weil deine Eltern eine bessere Partie für dich finden werden.« (S.40) Tatsächlich sperren sich Herberts Eltern gegen die Verbindung. Und auch Herberts Schwester, Victoria, die einst selbst mit Olga befreundet war, stellt sich gegen die Beziehung und versucht mit aller Macht die beiden Verliebten auseinander zu bringen. Dennoch: Olga und Herbert bleiben ein Paar. Auch als Olgas größter Wunsch, die Aufnahme am staatlichen Lehrerinnenseminar, in Erfüllung geht. Auch als Herbert beginnt als Soldat erst durch Afrika und dann durch die restliche Welt zu reisen. Die Liebe endet jedoch tragisch: Von seiner letzten Reise kehrt Herbert nicht zurück.

Der zweite Teil: Ferdinand, der Erzähler

Im zweiten Teil begegnen wir dem Erzähler der Geschichte, Ferdinand, einem Mann, in dessen Familie Olga als Näherin gearbeitet hat. »Sie kam alle zwei bis drei Monate für mehrere Tage. Sie machte Kleider, Röcke und Blusen, Jacken, Hosen und Hemden, die von Onkeln und Tanten abgelegt worden waren, für meine großen Schwestern und meinen großen Bruder passend und, wenn dieser aus ihnen heraus gewachsen war, für mich.« (S.115) Ferdinand berichtet von seiner Kindheit, in der Olga einen festen Platz einnimmt. Olga liest dem kleinen Jungen vor und beginnt schließlich auch von Herbert zu erzählen: »Als ich größer war und von Robinson und Gulliver las, mit Sven Hedin durch Asiens Wüsten und mit Roald Amundsen zum Südpol zog, erzählte Frau Rinke mir von Herberts Reisen und Abenteuern.« (S.123) Ferdinand und Olga stehen sich nahe, sie sprechen über Politik, über das Leben. Ihre Verbindung reist nicht ab, auch als Olga – unter mysteriösen Umständen – stirbt. Ferdinand kennt Olga, ihre Lebensgeschichte, es bleiben jedoch Geheimnisse, die ihm keine Ruhe lassen und er beginnt nachzuforschen. Am Ende dieser Nachforschungen stehen die Briefe, die Olga an Herbert geschrieben hat.

Der dritte Teil: »Herbert, mein Lieber!«

Mit diesen Briefen beginnt der dritte und letzte Teil von Schlinks Romans. Es ist Olgas Stimme, die dem Leser auf den letzten Seiten der Geschichte entgegen tritt. Olgas Briefe umspannen Zeitraum von 1913 bis 1971, sie verdeutlichen, dass sie den Tod ihrer großen Liebe niemals wirklich überwunden hat. Sie schrieb, Jahrzehnte lang, obgleich sie wusste, dass sie niemals eine Antwort erhalten würde. Während die ersten beiden Teile des Romans geprägt sind von Schlinks ruhiger, doch emphatischer Erzählweise, die man bereits aus »Der Vorleser« kennt, ist der letzte Teil des Romans geprägt von großer Emotionalität. Auch lösen die Briefe das Rätsel um Olgas Tod und lassen den Leser baff, schmunzelnd aber auch voller Bewunderung für Olga zurück.
Bernhard Schlinks Romane handeln häufig von Recht und Gerechtigkeit und auch »Olga« bildet keine Ausnahme. Untrennbar verbunden mit der Geschichte des Romans ist die deutsche Geschichte. Der Roman umspannt ein ganzes Jahrhundert: Die Kolonialzeit, den Völkermord an den Herero, den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, den Zweiten Weltkrieg, die Flucht aus Pommern und schließlich unsere Zeit. Olga und Herbert sind Kinder ihrer Zeit. Einer Zeit, die das Leben vielleicht mehr und stärker beeinflusste als das heute der Fall ist. Soziale Ungerechtigkeiten und Konventionen zeigten Wünschen und Sehnsüchte deutliche Grenzen auf. Mit Olga hat Schlink eine unvergessliche Figur erschaffen: Klug, gütig und herzensgut.
»Geschichte ist nicht die Vergangenheit,
wie sie wirklich war. Es ist die Gestalt,
die wir ihr geben.« (S.211)

Über Bernhard Schlink:

Bernhard Schlink wurde 1944 in der Nähe von Bielefeld geboren. Er ist Jurist und lebt in Berlin und New York. Bereits in den späten 80er und frühen 90er Jahren machte Schlink sich durch seine Krimi-Triologie über den Privatdetektiv Gerhard Selb einen Namen als Schriftsteller. Der 1995 erschienene Roman »Der Vorleser« schließlich begründete Schlinks internationalen Durchbruch. »Der Vorleser« wurde zum erfolgreichsten Werk der deutschsprachigen Erinnerungsliteratur. Schlinks Geschichte über die Liebes eines Teenagers zu einer ehemaligen KZ-Aufseherin wurde in über 50 Sprachen übersetzt und 2009 von Stephen Daldry mit Kate Winslet, die für ihre Darstellung einen Oscar gewann, verfilmt.
OLGA von BERNHARD SCHLINK
Diogenes Verlag. 320 Seiten. 24,00 Euro.
Leinenband mit Schutzumschlag.
Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Leseexemplar!