Nero, der blutige Dichter von Deszö Kosztolányi

Während der Lektüre von »Nero, der blutige Dichter«, dämmerte mir mehr und mehr welch eklatante Bildungslücke sich vor mir auftat. Der Name Dezsö Kosztolányi war mir bis zu jenem Nachmittag, an dem ich um die literarischen Neuerscheinungen in der Buchhandlung herumschlich, gänzlich unbekannt. Es war das Cover des Buches, welches meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ebenso wie der Titel und der zu erwartende Inhalt. Das alte Rom wirkt wie ein Magnet auf mich.

Der für mich große Unbekannte mit dem Namen Deszö Kosztolányi wurde 1885 in Österreich-Ungarn geboren, er starb 1936 in Budapest. Kosztolányi, so verrät die Autoreninfo, wurde als großerer Erneuerer der ungarischen Literatur gefeiert. Er übersetzte große Namen wie Shakespeare, Oscar Wilde, Heinrich Heine und auch Thomas Mann ins Ungarische. Der Klappentext, der unlängst im Rowohlt Verlag erschienen Ausgabe, geizt nicht mit Superlativen: Kosztolányis Romane NERO und »Ein Held seiner Zeit« zählten zur Weltliteratur und Kosztolányi sei, so wird ein Rezensent des Romans zitiert, „der ungarische Thomas Mann.
Nero. Gibt es einen bekannteren römischen Kaiser? Mit Ausnahme von Julius Caesar vielleicht? Nero ist berühmt und berüchtigt. Allerhand wird im nachgesagt. Rom soll er angezündet haben, um Platz für den Bau seines – selbst für römische Maßstäbe – gigantischen Palasts, die Domus Aurea, zu schaffen. Ob es Nero belustigt hätte, dass er Namenspate des legendären Brennprogramms Nero Burning Rom wurde? Die antiken Quellen, etwa Sueton und Tacitus, sprudeln über mit Erzählungen von Schandtaten begangen von dem Mann, der von 54 bis zu seinem Selbstmord 68 die Geschicke des gewaltigen römischen Imperiums lenkte. Eine lächerliche Figur sei er gewesen, ein geradezu Wahnsinniger. Ein untersetzter rothaariger Mann, der sich zum Dichter berufen fühlte. Mild in den ersten Jahren seiner Regentschaft, blutdurstig in seinen letzten Jahren. Er soll mit großer Brutalität Christen verfolgt haben. Er soll seinen Stiefbruder, seine Mutter, seine Ehefrau und zahllose weitere Menschen ermordet haben. So die Chronisten. Über die Frage, was davon stimmt, streiten die Historiker.

NERO, ein Künstlerroman

Dezsö Kosztolányi hat die Quellen, die von Nero berichten, offenkundig sorgfältig gelesen. Dennoch er hat den Stoff zu einem eigenständigen Werk geformt. Nero, der blutige Dichter ist kein klassischer historischer Roman. Es ist ein Künstlerroman, denn im Zentrum steht Neros unbändiger Wunsch Dichter zu werden. Gegen alles lateinisch-militärische hegt der junge Mann eine Abneigung. Seine Liebe gilt Griechenlande, der griechichen Kunst. Er möchte Künstler sein, um jeden Preis.

Wer das Literarische mag, so wie ich, dem sei Kosztolányis Roman sehr ans Herz gelegt. Seine Sprache ist kristallklar und dennoch stark poetisch aufgeladen. Neben langen, verschachtelten Satzgebilden stehen abhakte, kurze und knappe Sätze. Es scheint, als spiegele die Syntax das Wesen Neros: seine Wechselhaftigkeit, seinen Hang zur Poesie zum einen und seine brutale Härte zum anderen.Die Beschreibung von Neros erstem Auftritt als Dichter vor Publikum kommt einer Groteske gleich. Er besitzt, das attestieren sämtliche Figuren des Romans, kein Talent und das römische Publikum ist als gnadenlos. Buhrufe und Schmähungen an den römischen Kaiser gerichtet sind jedoch undenkbar und müssen verhindert werden. Um ein Desaster zu vermeiden wird das Publikum sorgfältig ausgewählt, Soldaten werden in die Reihen gestellt, und der Applaus, bei dem es auf den richtigen Einsatz, die richtige Intensität und die richtige Länge ankommt, wurde zuvor gewissenhaft geprobt.

Das alte Rom und all seine (realhistorischen) Figuren

Das Personal des Roman besteht (wie könnte es nicht) aus altbekannten Namen der römischen Antike: Claudius, dessen Erbe als Kaiser Roms Nero zu Beginn des Romans antreten muss. Agrippina, Neros machtbesessene Mutter, Octavia, seine schöne, jedoch ungeliebte Ehefrau. Eine prominente Rolle kommt Seneca, dem auch heute noch berühmten Rhetoriker und Mentor Neros zu.

Die Erzählung trägt den Leser wie durch einen Traum. Präzise Zeitangaben fehlen gänzlich, allein der Wechsel von Tag und Nacht strukturiert den Roman. Die Wettermetaphorik Kosztolányis fand ich grandios, die drückende Schwüle, das nahende Gewitter, das doch nicht kommt, oder:

Der Ozean brüllte ohnmächtig zu Füßen des Palastes, schnappte nach den Marmorstufen, sprang sogar auf obersten, bestürmte die Mauer. Zackige Wellen jagten hintereinanderher, weißgeschuppt. Eine Welle, die bis zum Eingang der Villa emporschoß, zerstäubte an der Säule und spritzte einer Satyrstatue ins Gesicht, die, ein angeheiterter Schelm mit Weinschlauch, Wache stand und nun, gleichsam ekelgeschüttelt, aus Mund und Nase das salzige Wasser pustete. Alles bewegte sich. Die oben standen, mit übernächtigtem Gesicht, erweckten den Eindruck, als würden sie auf einem sturmgepeitschten Schiff geschaukelt und wären seekrank.
Geschickt lässt Kosztolányi Nero einen Vergleich zwischen seinem Leben und dem antiken Tragödigenstoff der Orestie ziehen. Tatsächlich steht das Leben Neros dem Stoff einer antiken Tragödie in Nichts nach. Durch die Intrigen seiner machthungrigen Mutter und dem Mord an ihrem Ehemann Claudius wurde Nero zum Kaiser. Er lud selbst, während seines kurzen Lebens, viel Schuld auf sich. Zum Dichter geboren, zum Kaiser gemacht. So sähe Nero sich wohl selbst.

Nero zwischen Dichtkunst und Raserei

Bei allem Wahnsinn, aller Raserei und aller Grausamkeit weckt Nero im Leser mitunter auch Sympathie. Oder doch zumindest Mitleid oder Mitgefühl. Er ist umgeben um Lug und Trug. Er ist gequält von Selbstzweifeln, gequält auch von seinem Gewissen. Die Morde, die er begangen hat, zermürben ihn. Die Menschen um ihn herum versuchen ihn fortwährend zu manipulieren. Allen voran seine Mutter, seine Geliebte Poppaea, aber auch Seneca. Senecas Rolle im Roman ist, übereinstimmend mit den historischen Quellen, ungewiss. Am Ende wenden sich all die Einflüsterungen gegen die Manipulatoren selbst. Neros andere Seite: Wenn er glücklich ist, sollen es die Menschen um ihn herum auch sein. Er lobt andere Dichter, tröstet sie und versucht sie nach ihrer vermeintlichen Niederlage aufzuheitern. Er kann großzügig sein, regelrecht wohlwollend. Neben sich duldet er jedoch niemanden. Immer mehr verfällt er dem Wahnsinn.

Der Roman endet mit Neros Selbstmord. Seine Amme hält seinen Leichnam in den Armen und erzählt von seiner Kindheit. So endet der Roman gewissermaßen mit dem Anfang und in dem Kind Nero erkennt der Leser den erwachsenen Mann Nero:

Aber spielen, das tat er gerne. Pflegte mit Wagen zu spielen. Strich sie grün und blau an. War oft die grüne Partei. Und auch ins Theater ging er gerne.
Dem Rowohlt Verlag gebührt großer Dank für die Neuauflage dieses Buches. Mir ist Dezsö Kosztolányi zum Glück kein Unbekannter mehr und sein zweiter Roman »Ein Held seiner Zeit« kommt auf meine Leseliste.

NERO, der blutige Dichter von DEZSÖ KOSZTOLÀNYI
ROWOHLT VERLAG. 336 Seiten. 24 Euro.
Gebunden mit Schutzumlag.

Vielen Dank an den Rowohl Verlag für das Rezensionsexemplar!