In Prousts Welt

Zwischen den Seiten eines betagten Buches findet sich mitunter Erstaunliches. Alte Postkarten, vergessene Lesezeichen. In einer raren Ausgabe von In Swanns Welt aus der Feder von Marcel Proust wurden verschollene Briefe des Schriftstellers entdeckt. Der Inhalt dieser Schriftstücke enthüllt Sensationelles.

AUF DER SUCHE NACH DER VERLORENEN ZEIT

Als ich den letzten Band des großen Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (fr. À la recherche du temps perdu) zuklappte, überkam mich ein wenig Wehmut. Wie ein Bergsteiger, der gerade den höchsten Gipfel erklommen hat und in dessen Freude über das Erreichen seines langersehnten Ziels sich plötzlich auch Wehmut mischt, denn noch höher hinaus geht es nicht mehr. Die Recherche zu lesen war allerdings keine Anstrengung. Eher eine Offenbarung!
Beinahe hätte es jedoch keine Recherche gegeben. Lange suchte Marcel Proustvergeblich nach einem Verleger für den ersten Band des Zyklus. Neben vielen anderen Verlagen, wies auch Gallimard das Manuskript von In Swanns Welt zurück. Grasset hielt es ebenfalls für unlesbar. Louis Brun schließlich, der Verlagsleiter bei Grasset war, konnte seinen Chef überzeugen das Buch zu drucken. Im Jahr 1913 erschien In Swanns Welt also bei Grasset. Die Kosten für den Druck trug der wohlhabende Schriftsteller selbst.

PROUST GLAUBTE AN SICH & SEIN WERK

 Marcel Prousts Vertrauen in seine eigene schriftstellerische Qualität ist es zu verdanken, dass die Recherche – für uns – existiert. Welch Glück, dass Proust sich die Ablehnung der Verlage nicht entmutigen lies.
Die seltene Ausgabe von In Swanns Welt wird in den kommenden Tagen bei Sotheby’s in New York versteigert. Der Schätzpreis liegt zwischen 400.000 und 600.000 Euro. Diese Summe sagt bereits viel über den literarischen Wert, welcher der Recherche heute beigemessen wird. Die Briefe, die viele Jahrzehnte vergessen zwischen den wertvollen Buchseiten schlummerten, haben ebenfalls Preise zum Inhalt: Marcel Proust zahlte für die Veröffentlichung positiver Besprechungen seines Romans in Zeitungen und Magazinen.
300 Franc, in etwa 1000 Euro, zahlte der Schriftsteller für eine Lobeshymne, prominient platziert auf der Titelseite der renommierten Tageszeitung Figaro. Verfasst von ihm selbst. Mehr als doppelt so viel Geld, 660 Franc, zahlte Proust für das Erscheinen einer wohlwollenden Kritik aus der Feder eines Freundes im Journal des débats. Die Kritiken schickte Proust handschriftlich an Brun. Zum Abtippen.
»So wird es keine Spur von meiner Handschrift geben.«
Der Erfolg der Recherche gibt Proust nachträglich recht. Gaston Gallimard schrieb später in einem Brief an Grasset, es sei sein größter Fehler gewesen, die Recherche abgelehnt zu haben.

MARCEL PROUST UND DIE MODERNE

Hätte der Schriftsteller sich über die Enthüllung der Urheberschaft der überschwänglichen Rezensionen geärgert oder amüsiert? Ich wüsste gern, was er in Zeiten von Facebook, Instagram & Co. in Sachen Buch-Marketing ersonnen hätte.