Töte mich von Amélie Nothomb

»Töte mich« heißt der neue Roman von Amélie Nothomb (Diogenes) und der Name ist Programm: Die 17-jährige Sérieuse verlangt von ihrem Vater sie zu erschießen. In Übereinstimmung mit einer scheinbar wahnwitzen Prophezeiung.
 
Amélie Nothomb – die ich aus unerfindlichen Gründen immer mit Fred Vargas verwechsele – ist ein literarischer Superstar. Weltberühmt und von mir – ebenfalls aus unerfindlichen Gründen – bisher verschmäht. Töte mich war der beste Einstieg, den ich mir in die Romanwelt der belgischen Schriftstellerin hätte wünschen können. Töte michist mit viel Witz und Klugheit erzählt und garniert mit einer große Portion Bibliophilie. Was wünscht sich der passionierte Leser mehr?


In Töte mich Graf Neville erhält einen Anruf von einer Wahrsagerin: Er möchte seine 17-jährige Tochter Sérieuse bei ihr abholen. Sie habe das Mädchen schlotternd vor Kälte nachts im Wald aufgelesen. Zum Abschied prophezeit die Wahrsagerin dem Grafen, dass er bei einem Emfang einen seiner Gäste töten werde. Graf Neville gibt zunächst wenig auf die Prophezeiung. Er wird von Geldsorgen geplagt, das Château du Pluvier, in dem die Familie Neville seit Generationen lebt, muss verkauft werden. Seine letzte Gartenparty, die traditionell am ersten Oktobersonntag stattfindet, soll ein umso größerer voller Erfolg werden.

Töte mich: Eine verhängnisvolle Prophezeiung

 
Langsam aber sicher jedoch beginnt die Einflüsterung der Wahrsagerin zu wirken. Nevilles Unruhe steigt und er beschließt demjenigen seiner Gäste den Garaus zu machen, dessen Tod nicht nur verzeihlich, sondern durchaus wünschenswert wäre. Der passende Kandidat ist bald ausgemacht. Doch dann bringt Sérieuse ihren Vater mit einem Vorschlag gänzlich aus der Fassung: Statt eines Gastes, solle er sie umbringen. „Töte mich!“, sagt die Tochter zum Vater. Seit fünf Jahren bereits sei sie unglücklich und könne nicht mehr fühlen. Eine philosophische Diskussion enspinnt sich. Kann Graf Neville dieser Misere entkommen?

Ende gut, alles gut

 
Töte mich ist ein ein kleines, aber feines literarisches Feuerwerk: Intertextuelle Bezüge, sprechende Namen, klassische Figuren. Ist es ein Knicks vor den Klassikern? Oder gar eine Persiflage? Das Spiel mit dem Klassikern der Literatur, das Nothomb betreibt, ist großartig. Das französische Original trägt den Titel Le Crime du Comte Neville und lässt damit sofort an Oscar Wildes berühmte Erzählung Lord Arthur Savile’s Crime denken. Das entgeht natürlich auch dem Helden der Erzählung selbst nicht:
‚Das erinnert mich doch an etwas‘, dachte Henri. Auf einmal fiel ihm die Erzählung von Oscar Wilde wieder ein, die von einer ähnlichen Geschichte handelte. Allerdings war die Bibliothek in Le Pluvier so ungeordnet, dass man dort das Buch garantiert nicht finden konnte. Deshalb ging Neville lieber in die Dorfbuchhandlung. Im Taschenbuchkatalog stieß er auf den Titel: Lord Arthur Saviles Verbrechen.
Graf Neville ist eine ganz und gar klassische Figur, wie es sie heute in der Literatur jedoch kaum noch gibt. Ein verarmter, aber sehr würdevoller Held, ein Schlossherr mit perfekten Manieren. Und jemand, der seine Kinder tatsächlich Oreste, Électre und Sérieuse genannt hat. Wer in antiker Literatur bewandert ist, der weiß, dass Oreste und Électre wohlbekannte Namen aus der griechischen Trägodie sind. Und, dass das Glück ihren Trägern nicht unbedingt hold war.
Kritik verbat er sich empört. In einer Zeit, in der Kinder die unpassendsten Vornamen bekämen, sei seine Wahl sehr gemäßigt, ja geradezu klassisch. Wegen des Vornames seines dritten Kindes er denn auch am meisten angeriffen worden. „Halten Sie Ernst denn für einen so herausragenden Wert?“ „Selbstverständlich. Außerdem habe ich mir da ja gar nichts Neues ausgedacht. Ernest bedeutet genau dasselbe.“
Töte mich ist gänzlich anders als die meisten literarischen Neuerscheinungen, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. Die Erzählung wirkt zunächst ein wenig altmodisch, ein wenig angestaubt und doch ganz modern. Ein modernes Kunstmärchen vielleicht? Ich mag die Prise Romantik, den schalkhaften Knicks vor der (antiken) Literatur und auch die tieferen Wahrheiten, die sich trotz aller Leichtigkeit zwischen den Seiten verstecken. Ich habe es in einem Rutsch gelesen und es war eine Freude!
 
TÖTE MICH von AMÉLIE NOTHOMB
DIOGENES VERLAG. 112 Seiten. 20 Euro.
Leinengebunden mit Schutzumschlag.
 
Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar!